Heilung der Trennung

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

April 17, 2025

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Ausgabe 46 / 2025
|
April 2025
Die Wiederentdeckung des Lebens
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Können wir von psychedelischen Pilzen etwas lernen?

Das Verwobensein alles Lebendigen, wie es die neuere Biologie beschreibt, scheint im menschlichen Bewusstsein auf. Psychedelika können hier neue Erfahrungsräume eröffnen. Was bedeutet das für unser menschliches Selbstverständnis und unsere Beziehung zu unserer lebendigen Mitwelt?

Seit einigen Jahren sind die Naturwissenschaften dabei, die Wechselseitigkeit von Mensch und Natur auf neue Weise tiefer zu verstehen. Es wird immer deutlicher, dass alles Lebendige, gleich ob Menschen, Tiere, Pflanzen, Einzeller, Pilze und Bakterien, in einem ganzheitlichen Schöpfungsprozess ineinander verwoben ist. Eine Einsicht, die über die Biologie hinaus bedeutsam ist. Die Depressionsforschung etwa zeigt, welch heilsame Wirkung Erfahrungen eines tiefen Verbundenseins mit dem Natürlichen auf Körper, Geist und Seele haben. Weil das Spüren dieser Ganzheit sich nicht willentlich herbeiführen lässt, werden immer mehr Substanzen untersucht, die solche Erfahrungsräume öffnen können. Insbesondere Psilocybin, ein psychedelischer Wirkstoff, der aus Pilzen gewonnen wird, kommt in klinischen Depressionsstudien zum Einsatz. Menschen spüren intuitiv, dass ihnen in der Natur ein Leben begegnet, das in sich heil ist und deshalb auch in ihnen Heilsames hervorruft. Dies spiegelt sich in den Empfindungen, die sich durch die Einnahme von Psilocybin einstellen können. Ein Teilnehmender einer Studie etwa berichtet: »Ich fühlte mich wie die Sonne, die durch die Blätter glitzert.« Vielleicht kann man, poetisch ausgedrückt, davon ausgehen, dass die natürliche Substanz ihr eigenes Eingebundensein in etwas Größeres mit dem Menschen teilt und ihn einbezieht in diese allumfassende Lebendigkeit. Das tiefe Verwobensein alles Lebendigen, wie es die neuere Biologie beschreibt, wird hier im menschlichen Bewusstsein wiedererweckt.

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Können wir von psychedelischen Pilzen etwas lernen?

Das Verwobensein alles Lebendigen, wie es die neuere Biologie beschreibt, scheint im menschlichen Bewusstsein auf. Psychedelika können hier neue Erfahrungsräume eröffnen. Was bedeutet das für unser menschliches Selbstverständnis und unsere Beziehung zu unserer lebendigen Mitwelt?

Seit einigen Jahren sind die Naturwissenschaften dabei, die Wechselseitigkeit von Mensch und Natur auf neue Weise tiefer zu verstehen. Es wird immer deutlicher, dass alles Lebendige, gleich ob Menschen, Tiere, Pflanzen, Einzeller, Pilze und Bakterien, in einem ganzheitlichen Schöpfungsprozess ineinander verwoben ist. Eine Einsicht, die über die Biologie hinaus bedeutsam ist. Die Depressionsforschung etwa zeigt, welch heilsame Wirkung Erfahrungen eines tiefen Verbundenseins mit dem Natürlichen auf Körper, Geist und Seele haben. Weil das Spüren dieser Ganzheit sich nicht willentlich herbeiführen lässt, werden immer mehr Substanzen untersucht, die solche Erfahrungsräume öffnen können. Insbesondere Psilocybin, ein psychedelischer Wirkstoff, der aus Pilzen gewonnen wird, kommt in klinischen Depressionsstudien zum Einsatz. Menschen spüren intuitiv, dass ihnen in der Natur ein Leben begegnet, das in sich heil ist und deshalb auch in ihnen Heilsames hervorruft. Dies spiegelt sich in den Empfindungen, die sich durch die Einnahme von Psilocybin einstellen können. Ein Teilnehmender einer Studie etwa berichtet: »Ich fühlte mich wie die Sonne, die durch die Blätter glitzert.« Vielleicht kann man, poetisch ausgedrückt, davon ausgehen, dass die natürliche Substanz ihr eigenes Eingebundensein in etwas Größeres mit dem Menschen teilt und ihn einbezieht in diese allumfassende Lebendigkeit. Das tiefe Verwobensein alles Lebendigen, wie es die neuere Biologie beschreibt, wird hier im menschlichen Bewusstsein wiedererweckt.

Die tiefen Ganzheitserfahrungen, die Menschen mit Psychedelika machen, scheinen manche Wunden, die in der modernen Kultur des Getrenntseins entstehen, zu heilen. Doch bringt der Einsatz indigener Pflanzen auch Fragwürdigkeiten mit sich, denn psychedelische Experimente können in eine regressive Realitätsverweigerung führen. Halluzinogene lösen dann vielleicht persönliches Wohlbefinden aus, doch das Leben selbst bleibt ein Gebrochenes. Der Politik-Stratege Alnoor Ladha etwa kritisiert die Art und Weise, wie im Westen mit dem Pflanzenwissen indigener Kulturen umgegangen wird. Er entstammt einem Assassinen-Orden, und seine Vorfahren arbeiteten mit Psychedelika. Doch wurde ihre traditionelle Heilertätigkeit über die Jahrhunderte vom kolonialen Kapitalismus vereinnahmt. Er sagt: »Entgegen der weit verbreiteten westlichen Meinung sollen psychoaktive Pflanzen nach indigenem Verständnis nicht dazu dienen, den Menschen in eine glückselige, tröstliche Umarmung eines immer liebenden, immer gebenden Universums zu versetzen, das ihm ein gutes Gefühl in Bezug auf sich selbst oder die Welt, in der er lebt, vermittelt. Bei einer verantwortungsvollen Beschäftigung mit heiligen Pflanzen und Arzneimitteln geht es nicht um Selbstverwirklichung oder Selbstbestätigung. Es geht vielmehr darum, uns selbst zu überwinden, unsere Vorstellungen davon, was das Selbst ausmacht. Es geht darum, tiefer in die irdischen Bereiche vorzudringen, außerhalb des Selbst und der kulturell geschaffenen Wahnvorstellungen.«

Für Ladha liegt das große Geschenk der Psychedelika darin, dass sie die im Westen zutiefst gewohnte Spaltung von Subjekt und Objekt auflösen und die Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben, dann in die Kultur zurückkehren können, um deren bestehende Normen infrage zu stellen. Ihm geht es nicht um die Heilung eines getrennten Selbst, sondern um die Heilung ganzer Kulturen: »Wenn die Pflanzen und Pilze die Welt verändern sollen, dann muss dieser Wandel damit beginnen, dass wir auf das hören, was sie und ihre angestammten Hüter uns zu sagen haben. Was schlagen sie uns vor, was wir tun oder nicht tun sollten? Anstatt diese Arzneimittel als Heilmittel für die Pr­obleme der Moderne zu konsumieren, kann vielleicht der Wunsch nach einer tieferen Gemeinschaft mit Pflanzenlehrern zu einer anderen Art von Geburtsumgebung beitragen.«

»Die Pilze können uns eine Ahnung vermitteln von dem größeren, mit allem verbundenen Ich.«

Der Mediziner Paul Lichtenberg* gehört zu jenen, die auf die Weisheit der Pflanzen hören. Als Gegenpol zur halluzinogenen Erlebniskultur arbeitet er seit vielen Jahren mit Gruppen, die über längere Zeiträume eine Entwicklungsbeziehung mit den psychoaktiven Pflanzen eingehen. Ihm geht es, wenn er heilige Räume für Pflanzenzeremonien öffnet, nicht um eine Wohlfühl-Spiritualität, sondern um Reifungsprozesse, wie sie auch Ladha anspricht. »Die Erfahrung mit Pilzen kann sehr konfrontativ sein, je nachdem, wo man gerade in der eigenen Entwicklung steht. Du siehst sozusagen, wow, ich habe mein Leben lang etwas geglaubt, und jetzt sehe ich, das stimmt gar nicht. Das ist ein Muster, das bin gar nicht ich«, beschreibt er, wie im Prozess mit den Pflanzen kulturelle Gewohnheiten aufbrechen. Die Pilze konfrontieren das kleine Ich mit seinen Beschränkungen. Und sie können ihm eine Ahnung vermitteln von dem größeren, mit allem verbundenen Ich. »Das kann ein wertvolles Element auf dem eigenen Heilungsweg des Aufwachens sein, und darüber hinaus halte ich es für eine ganz wertvolle Kulturtechnik«, so Lichtenberg.

In seinen Gruppen begegnen die Menschen der Pflanzenwelt auf Augenhöhe, um wirklich von ihr zu lernen. Man könnte auch sagen, es geht um Demut und weniger darum, sich für einige Stunden gut zu fühlen. Für Lichtenberg ist diese Kultivierung der inneren Haltung wesentlich, damit die Arbeit mit psychoaktiven Pflanzen Sinn stiften kann. Es ist eine Wechselseitigkeit, die er selbst täglich auch ohne Halluzinogene innig pflegt. »Ich nehme mir jeden Tag Zeit für Meditation oder höre den Bäumen in unserem Wald zu. Ich bin schon in Tränen auf die Knie gegangen, wenn die Bäume mir von ihrem Schmerz erzählt haben, den sie durch die Behandlung von uns Menschen erfahren. Bäume strahlen eine so profunde Liebe aus. Sie haben keine eigene Agenda und geben sich den Lebewesen um sie herum einfach hin.«, erzählt er. Vielleicht geht es heute vor allem darum, diese Hingabe und dieses Eingebettetsein wieder zu lernen. Pflanzen können uns dabei helfen. Und wir können, jenseits der Erwartung an einen großen Kick, jeden Moment auf die von ihnen vermittelte Wirklichkeit zugehen. ■

* Name von der Redaktion aus ­Anonymitätsgründen geändert

Author:
Dr. Nadja Rosmann
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