Rebellion und Fürsorge

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Porträt
Published On:

April 17, 2025

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Ausgabe 46 / 2025
|
April 2025
Die Wiederentdeckung des Lebens
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Bart Weetjens’ Suche nach der Harmonie zwischen den Gegensätzen

Der Einstieg in mein Zoom-Gespräch mit Bart Weetjens fühlte sich schnell wie eine ­kostbare Pause an: seine ruhige Präsenz, sein offenes Lächeln, seine aufmerksamen Augen. Ich bemerkte seine Zen-Robe und fragte mich, wie er zu einer Gegenwärtigkeit fand, die sogar durch den Bildschirm hindurch spürbar war. Wie ich im Laufe der nächsten Stunde erfuhr, ist sein Leben durch eine ständige Suche nach Harmonie geprägt – zwischen Kreativität und Ingenieurwesen, zwischen Technologie und Menschlichkeit, zwischen Aktivismus und Selbstfindung. Diese besondere Mischung seiner Interessen ermöglichte es ihm, überraschende Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Weltweit bekannt wurde er für HeroRATs, einem Sozialunternehmen, in dem er Ratten dressierte, um große Landstriche Afrikas von Landminen zu räumen.

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Bart Weetjens’ Suche nach der Harmonie zwischen den Gegensätzen

Der Einstieg in mein Zoom-Gespräch mit Bart Weetjens fühlte sich schnell wie eine ­kostbare Pause an: seine ruhige Präsenz, sein offenes Lächeln, seine aufmerksamen Augen. Ich bemerkte seine Zen-Robe und fragte mich, wie er zu einer Gegenwärtigkeit fand, die sogar durch den Bildschirm hindurch spürbar war. Wie ich im Laufe der nächsten Stunde erfuhr, ist sein Leben durch eine ständige Suche nach Harmonie geprägt – zwischen Kreativität und Ingenieurwesen, zwischen Technologie und Menschlichkeit, zwischen Aktivismus und Selbstfindung. Diese besondere Mischung seiner Interessen ermöglichte es ihm, überraschende Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Weltweit bekannt wurde er für HeroRATs, einem Sozialunternehmen, in dem er Ratten dressierte, um große Landstriche Afrikas von Landminen zu räumen.

Geboren in den frühen1970er-Jahren in Antwerpen, Belgien, prägten zwei gegensätzliche Kräfte Barts Kindheit: eine streng katholische Erziehung und ein häusliches Umfeld, dem es an der Sicherheit und Wärme fehlte.

Als Kind fühlte sich Bart sowohl zum Zerstörerischen als auch zum Schöpferischen hingezogen. Er war fasziniert von Waffen, Bomben und allem, was einen lauten »Knall« verursachte, aber er liebte auch das Musizieren, Zeichnen und Eintauchen in kreative Prozesse. Ein Wendepunkt kam, als er neun Jahre alt war, mit der Ankunft von Goldie, einem kleinen Hamster, der ihn überallhin begleitete – sogar in die Schule und in den Supermarkt. Goldie wurde mehr als nur ein Haustier; er war ein Gefährte in einer Kindheit, die sich oft einsam anfühlte. Seine Vorliebe galt nicht nur Hamstern, sondern auch Ratten und Mäusen, da er in diesen kleinen Kreaturen eine Art von Zuneigung fand, die er sonst oft vermisste.

Trost fand Bart auch in der Malerei. Als es an der Zeit war, einen beruflichen Weg einzuschlagen, stand er vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte er seiner mathematischen Begabung folgen und Bauingenieurwesen studieren oder seinen künstlerischen Neigungen an einer Kunstakademie nachgehen? Das Dilemma löste sich, als er die Abteilung für Produktdesign an einem örtlichen Jesuitenkolleg besuchte. »Ich erlebte dort beide Bereiche – Kreativität und Technik – in Harmonie«, erinnert er sich.

Bart studierte allerdings nicht nur: Er tauchte in ein Bohème-Leben ein, erkundete die Welt der Kunst, rutschte aber auch in einen schweren Drogenkonsum ab. In einer ausschweifenden Nacht konsumierte er eine Überdosis LSD. Das Ergebnis war katastrophal – er landete in einer psychiatrischen Klinik und musste dann wieder bei seinen Eltern einziehen.

Das Scheitern führte zu einem unerwarteten Silberstreif am Horizont: Bart erhielt Zugang zu medizinischer und finanzieller Unterstützung. Und dann, eines Tages, als er gerade unterwegs war, um Einkäufe zu erledigen, fiel sein Blick auf einen Aushang: Bart war sofort fasziniert von der Stabilität, die von dem meditierenden Zen-Meister ausging, der dort abgebildet war. Er rief die Telefonnummer an, sobald er wieder zuhause war. »Eine ältere Frau (die in meinem Leben wichtiger wurde als meine eigene Mutter, wenn ich das so sagen darf) nahm den Hörer ab und lud mich ein, am nächsten Tag um sieben Uhr zur Meditation ins ­Dojo zu kommen.« Bart kam von nun an regelmäßig dorthin und traf bald Roland Yuno Rech, einen Zen-Meister, dessen Anwesenheit einen tiefen Eindruck hinterließ. Während er sein Studium beendete, begann Bart, an Retreats teilzunehmen, und fand im Zen die Stabilität und den Sinn, nach denen er gesucht hatte.

»Ich diene der Vision von einer harmonischen Menschheit auf einem blühenden Planeten.«

Für seine Abschlussarbeit an der Universität reiste Bart in den Kongo, wo er eine Dreschmühle für Sojabohnen aus Schilf, Bambus und einem alten Ölfass konstruierte. Die einfache Konstruktion verdoppelte die Sojabohnenerträge der örtlichen Bauern. Aber die Erfahrung war noch viel tiefgreifender. »Mich berührte Ubuntu, die afrikanische Denkweise des ›Ich bin, weil du bist‹. Das Gefühl in einer Gemeinschaft war eine Erfahrung, die ich in meiner Kindheit nicht gemacht hatte.«

Nach seinem Abschluss begann Bart in der Konstruktionsabteilung eines Busherstellers zu arbeiten. Doch schon nach einem Jahr kam der junge Rebell in ihm wieder zum Vorschein. Die Branche schien ihm zerstörerisch – sowohl für die Umwelt als auch für die Gesellschaft – und er wollte nichts damit zu tun haben. Er kündigte und wandte sich stattdessen der Malerei zu. Bei der zweiten Ausstellung seiner Bilder tauchte ein Mentor von der Universität auf und forderte Bart auf, einen anderen Weg einzuschlagen und sich dem Problem der Landminen in Afrika anzunehmen. Mit Unterstützung eines Stipendiums begann Bart zu recherchieren und Fachkonferenzen zu besuchen.

Auf einer dieser Veranstaltungen saß er in der letzten Reihe neben einem Mann, der seine Vorbehalte gegenüber den Vorträgen teilte. Obwohl die meisten mit Landminen übersäten Gebiete in den Entwicklungsländern liegen, waren die Lösungen, die auf der Bühne vorgestellt wurden, hochtechnologisch und beinhalteten Infrarot, Sensoren und Roboter. »Das sind keine geeigneten technologischen Lösungen, die die Menschen vor Ort tatsächlich nutzen können, um ihre Heimat von Landminen zu befreien«, sagt er. Die beiden kamen auf Wüstenrennmäuse zu sprechen, die mittels elektrischer Hirnstimulation auf das Aufspüren von Sprengstoffen trainiert wurden. »An diesem Abend wusste ich, dass ich in Zukunft Ratten trainieren würde, um Menschenleben zu retten«, erinnert sich Bart.

Mit einem Forschungsstipendium der belgischen Regierung zog Bart im Jahr 2000 nach Afrika. Vorläufige Tests in Belgien bestätigten, dass bestimmte Rattenarten Sprengstoffe aufspüren, in Gefangenschaft gezüchtet und mit Belohnung statt mit Elektroschocks trainiert werden konnten. All diese Faktoren bedeuteten, dass Ratten die Lösung für die von Landminen geplagten Gemeinden sein könnten – eine »geeignete Technologie«. In Tansania baute Bart Partnerschaften mit Universitäten und örtlichen Landwirten auf, und im Jahr 2004 spürten die ersten Ratten erfolgreich Landminen in Mosambik auf. Das Projekt wurde schnell erfolgreich. Bis 2015 war Barts Organisation in 14 Ländern tätig und hatte die letzten Minenfelder in Mosambik zwei Jahre früher als geplant geräumt.

Doch der Erfolg brachte neue Herausforderungen mit sich. »So erfüllend diese Arbeit auch war, es bestand die Gefahr, sich zu sehr mit ihrem Erfolg zu identifizieren«, sagt er. Eine internationale Nichtregierungsorganisation zu leiten, die von staatlichen Geldern abhängig ist, war anstrengend. Bart sah, wie viele Sozialunternehmer ausbrannten, sich scheiden ließen oder sogar Selbstmord begingen. Er erkannte die Notwendigkeit des inneren Wohlbefindens im Engagement für den sozialen Wandel und half bei der Gründung des »Wellbeing Project«, das Führungskräfte und Aktivistinnen bei der Kultivierung von Selbstfürsorge und Nachhaltigkeit unterstützt. Nach vier Jahren verließ Bart das Führungsteam des Wellbeing Project. »Diese Zeit hat so viele Bereiche in mir geheilt, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren«, erinnert er sich. Am Ende war ihm klar geworden: »Ich bin hier, um Zen-Mönch zu werden.«

Heute verbringt Bart die Hälfte seiner Zeit in einem klösterlichen Umfeld, indem er sich im Tempel von Roland Yuno Rech in Nizza zum Zen-Mönch ausbilden lässt, und die andere Hälfte verbringt er in Antwerpen, wo er Meditation lehrt, Retreats leitet und mit »Innerpreneurs« arbeitet – Führungskräften, die Authentizität und regenerative Führung anstreben.

In all seinen Phasen – Rebellion, Selbstfindung, Unternehmensführung und Kontemplation – war Barts Weg von der Suche nach Harmonie geprägt. Als er von den Grundzügen seines Lebens erzählt – Mut, Stille, Einfachheit und Dienen –, frage ich ihn, wofür er sich einsetzt. »Ich diene der Vision von einer harmonischen Menschheit auf einem blühenden Planeten«, sagt er mit einem sanften Lächeln. »Nicht der ausbeuterischen Kloake, die wir geschaffen haben.« Klare Worte von einem Zen-Mönch.

Author:
Miranda Perrone
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