Regeneration als Kulturpraxis

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

July 7, 2025

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47
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July 2025
Interbeing
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Auch wenn es mir peinlich ist: Die letzten Monate waren wieder mal einfach zu viel. Ich kam kaum hinterher – mit E-Mails, Aufgaben, Ansprüchen an mich selbst. Und das, obwohl ich liebe, was ich tue. Warum gestalte ich mein Leben so, dass ich immer wieder an meine Grenzen komme? Ich bin sicher, ich bin nicht allein damit. Gerade engagierte Menschen brennen oft – bis sie ausbrennen. Vielleicht, weil wir unbewusst ein System fortschreiben, das wir eigentlich überwinden wollen: das Paradigma der Ausbeutung. Nicht nur der Natur, nicht nur anderer – sondern auch unserer selbst. Wie also gelingt ein Leben, das nicht nur wirkt, sondern auch nährt und regeneriert? Wie können wir eine Kultur entwickeln, die uns mitmeint – nicht nur als Funktionierende, sondern als fühlende, lebendige Wesen?

Viele, die sich für einen tiefgreifenden Wandel engagieren, kennen dieses Gefühl: das innere Vibrieren, das Getriebensein, die Erschöpfung. Und manchmal auch die Kluft zwischen dem, was wir in der Welt verändern wollen – und dem, was wir in uns selbst kaum noch spüren. Vielleicht brauchen wir dazu eine andere Art von Antwort: keine weitere Strategie, kein neues Tool, kein »höher, schneller, effektiver«. Sondern Räume für echte Regeneration. Nicht als Rückzug ins Private – sondern als kollektive Kulturpraxis.

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Auch wenn es mir peinlich ist: Die letzten Monate waren wieder mal einfach zu viel. Ich kam kaum hinterher – mit E-Mails, Aufgaben, Ansprüchen an mich selbst. Und das, obwohl ich liebe, was ich tue. Warum gestalte ich mein Leben so, dass ich immer wieder an meine Grenzen komme? Ich bin sicher, ich bin nicht allein damit. Gerade engagierte Menschen brennen oft – bis sie ausbrennen. Vielleicht, weil wir unbewusst ein System fortschreiben, das wir eigentlich überwinden wollen: das Paradigma der Ausbeutung. Nicht nur der Natur, nicht nur anderer – sondern auch unserer selbst. Wie also gelingt ein Leben, das nicht nur wirkt, sondern auch nährt und regeneriert? Wie können wir eine Kultur entwickeln, die uns mitmeint – nicht nur als Funktionierende, sondern als fühlende, lebendige Wesen?

Viele, die sich für einen tiefgreifenden Wandel engagieren, kennen dieses Gefühl: das innere Vibrieren, das Getriebensein, die Erschöpfung. Und manchmal auch die Kluft zwischen dem, was wir in der Welt verändern wollen – und dem, was wir in uns selbst kaum noch spüren. Vielleicht brauchen wir dazu eine andere Art von Antwort: keine weitere Strategie, kein neues Tool, kein »höher, schneller, effektiver«. Sondern Räume für echte Regeneration. Nicht als Rückzug ins Private – sondern als kollektive Kulturpraxis.

Denn Regeneration geschieht selten allein. Unser Nervensystem findet nicht durch Kontrolle oder Willensanstrengung zur Ruhe, sondern durch echten Kontakt: zu uns selbst, zu anderen, zum Lebendigen. Oft hilft uns ein Gegenüber, das mitschwingt – ein Mensch, der nicht sofort reagiert oder repariert, sondern einfach da ist – mit Präsenz und Wärme. So entstehen Felder, in denen wir uns nicht erklären oder anpassen müssen, sondern einfach »da« sein dürfen.

Der große Aktionskünstler Joseph Beuys sprach von sozialen Wärmefeldern – als Gegenbild zu den sozialen Kälteseen, die viele von uns nur zu gut kennen: Orte, an denen wir uns fremd, hart oder allein fühlen. Wo Anpassung zählt statt Beziehung, und etwas in uns zu erstarren beginnt. Wärmefelder sind Räume, in denen wir echt sein dürfen – ohne Maske. Wo wir nicht bewertet werden, sondern mit Wohlwollen bezeugt. Und wo sich etwas lösen kann, das im Getriebe des Alltags oft überdeckt bleibt: Anspannung, Schutzmechanismen, tiefe Erschöpfung.

»Regeneration ist keine Pause vom Leben, sondern die Grundlage für wirksames Handeln.«

Die Philosophin Natalie Knapp bringt es auf den Punkt: »Glück und Gesundheit sind keine individuellen Phänomene – sondern kollektive.« Wo Begegnung wirklich stattfindet – offen, präsent und urteilsfrei –, entstehen kleine Inseln des Menschseins. Die Systemwandel-Visionärin ­Margaret Wheatley nennt sie »Islands of Sanity« – Inseln der Menschlichkeit in einer fragmentierten Welt. Gerade für Menschen, die sich leidenschaftlich für einen Wandel einsetzen, sind solche Inseln nicht bloß wohltuend – sie sind essenziell. Denn inmitten der Spannungen zwischen Verantwortung und Überforderung, zwischen Vision und Realität, geraten viele in ein inneres Taumeln. Aus Pflichtgefühl oder Überzeugung halten wir durch – und merken dabei oft erst spät: So geht es nicht weiter. Nicht ohne Innehalten. Nicht ohne Tiefgang. Nicht ohne ein Gegenüber, das uns spiegelt und stärkt.

Deshalb brauchen wir mehr solcher Räume – nicht nur für Einzelne, sondern als geteilte Praxis. Als soziale Infrastruktur für Wandel – wie Tankstellen, die es ja auch überall gibt, um Mobilität zu ermöglichen: soziale Auftank-Orte, von denen aus wir wieder inspiriert und genährt weitergehen können. Regeneration ist keine Pause vom Leben, sondern die Grundlage für wirksames Handeln. Nur wer in sich gesammelt ist, kann auch im Außen klar und verbunden wirken.

Wie wäre es, wenn wir uns selbst – und einander – solche Felder schenkten? Nicht, um perfekt zu werden, sondern um ganz da zu sein. Nicht, um uns abzuschotten, sondern um uns zu verbinden: mit uns selbst, miteinander und mit dem, was durch uns in die Welt kommen will. Vielleicht beginnt der Wandel genau dort – wo wir weich bleiben, wenn es hart wird. Wo wir offen bleiben, auch wenn es weh tut. Wo wir uns vom Leben und voneinander berühren lassen. ■

Diesen Sommer lädt Pioneers of Change ein: zu einer regenerativen Auszeit – gemeinsam mit anderen Menschen, die sich nach Tiefe, Echtheit und neuer Lebenskraft sehnen. In der Natur. Im Gespräch. In Stille und im Miteinander. Denn in Gemeinschaft geschieht oft das, was uns allein nicht gelingt: Wir erinnern uns – an das, was wesentlich ist.

artofchange.org/sommer-auszeit

Author:
Martin Kirchner
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