Es ist faszinierend, dass etwas, das über Jahrtausende den meisten Menschen größte Freude bereitete, für viele Menschen in modernen Gesellschaften zu einem existenziellen Problem geworden ist: einfach einmal nichts zu tun. [Mir ist bewusst, dass ein Teil der Menschen durch prekäre Lebensumstände dazu gezwungen ist, mehr oder weniger pausenlos zu arbeiten, doch darum geht es hier nicht. Mich beschäftigt an dieser Stelle die Rastlosigkeit, die in modernen Gesellschaften Einzug gehalten hat.]
Warum fällt es uns so schwer, einfach einmal nichts zu tun und unseren Gedanken beim Auf- und Abtauchen zuzusehen? Warum empfinden wir Nichtstun mittlerweile eher als Zumutung denn als Möglichkeit der Entspannung, obwohl es den natürlichen Zustand von Ruhe und Erholung ermöglicht?
Es ist faszinierend, dass etwas, das über Jahrtausende den meisten Menschen größte Freude bereitete, für viele Menschen in modernen Gesellschaften zu einem existenziellen Problem geworden ist: einfach einmal nichts zu tun. [Mir ist bewusst, dass ein Teil der Menschen durch prekäre Lebensumstände dazu gezwungen ist, mehr oder weniger pausenlos zu arbeiten, doch darum geht es hier nicht. Mich beschäftigt an dieser Stelle die Rastlosigkeit, die in modernen Gesellschaften Einzug gehalten hat.]
Warum fällt es uns so schwer, einfach einmal nichts zu tun und unseren Gedanken beim Auf- und Abtauchen zuzusehen? Warum empfinden wir Nichtstun mittlerweile eher als Zumutung denn als Möglichkeit der Entspannung, obwohl es den natürlichen Zustand von Ruhe und Erholung ermöglicht?
Dies hängt mit unseren kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Prägungen zusammen, die über Jahrhunderte hinweg den Wert des Tuns über den des Lassens gestellt haben. Die Idee vom Menschen als »homo faber« verdeutlicht, dass wir uns eher über Tätigkeit und Arbeit definieren als über Spiel oder Muße. Das war nicht immer so. Für die alten Griechen hatte die Muße Vorrang vor der Erwerbsarbeit. Nicht, weil sie Faulheit glorifizierten, sondern weil sie überzeugt waren, nur durch Muße könne der Mensch kreativ werden und politisch aktiv seine Polis, den Staat, in dem er lebt, gestalten.
Für den modernen Menschen hingegen erscheint die Abwesenheit von Beschäftigung als Mangel, als eine Form des Stillstands. Produktives Handeln gilt in unserer Gesellschaft als Beweis für Sinn und Werthaftigkeit.
Schon in der frühen Tradition der christlichen Asketen wurde Nichtstun als Trägheit und damit als Problem definiert. Der träge Mönch kümmerte sich nicht um seine Seele und bot dem Bösen damit alle Möglichkeiten, die Seele zu korrumpieren. Nichtstun galt in der christlichen Tradition nicht einfach als Schwäche, sondern als eine der sieben Todsünden. Mit der Reformation erfuhr diese Haltung eine neue Zuspitzung. Im calvinistischen Denken zeigte sich im materiellen Erfolg, hervorgebracht durch unermüdliche Anstrengung, ein Hinweis auf die Erwähltheit des Betreffenden zum ewigen Heil. Die unermüdliche ökonomische Anstrengung wurde religiös positiv bewertet. Für Muße war kein Raum mehr.
Diese kulturellen und religiösen Muster wirken bis heute fort, wenn auch in säkularisierter Form. Das moderne Paradigma formuliert diese Haltung als Imperativ: Jeder ist seines Glückes Schmied. Wer nur willensstark genug ist, könne alles erreichen, so das neoliberale Paradigma. Damit wird das ganze Leben zum Projekt, dessen Gelingen einzig in der Verantwortung des Einzelnen liegt. Für Ruhe und Nichtstun ist hier kein Platz mehr.
»Zeit, die nicht inhaltlich ›sinnvoll‹ gefüllt ist, erzeugt Angst.«
Dazu gesellt sich das Diktat der Selbstinszenierung. Nicht mehr allein die geleistete Arbeit, sondern die gelungene Präsentation des eigenen Lebens ist zum Maßstab geworden. Wir sollen uns als Unternehmer der eigenen Biographie verstehen, stets sichtbar, stets aktiv. Ruhe findet darin nur Raum, wenn sie als Lifestyle-Element, in Form von »Achtsamkeit« oder »Digital Detox« inszeniert und vermarktet werden kann, was meist mit Arbeit verbunden ist.
Hinzu kommt, dass die westliche Kultur der letzten hundert Jahre Glück fast ausschließlich mit der Erfüllung von Wünschen und dem Konsum neuer Erfahrungen identifiziert hat und nicht mit dem Zustand des entspannten Nichtstuns. Zeit, die nicht inhaltlich »sinnvoll« gefüllt ist, erzeugt Angst. Unter diesen Vorzeichen erscheint das reine Nichtstun als Bedrohung.
Als die Universität von Virginia vor einigen Jahren Probanden bat, 15 Minuten ohne Ablenkungen einfach in einem Raum zu sitzen, gaben diese danach an, diese Zeit als sehr unangenehm empfunden zu haben. Als sie sich bei einer zweiten Versuchsreihe selbst Stromstöße zufügen konnten, nutzen etwa zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen diese Möglichkeit. Besser unangenehme Stromstöße spüren als einfach nur herumsitzen, schien die Devise.
Dabei sind gerade Phasen des Nichtstuns neurobiologisch unverzichtbar. Unser Gehirn entfaltet seine kreative Leistung vor allem dann, wenn es nicht auf eine konkrete Aufgabe ausgerichtet ist. Erst im Zustand des Nichtstuns kann das Default Mode Network (DMN), der Ruhezustandsmodus, arbeiten, Erinnerungen ordnen und neue Zusammenhänge schaffen.
Nichtstun eröffnet einen Raum, in dem sich das Denken neu ordnen und das Leben anders wahrgenommen werden kann. Es ist kein Mangel, sondern ein eigenständiger Wert – die Kunst, einfach zu sein. Und diese sollten wir wieder mehr kultivieren.