Wie alle politischen Theorien ist auch die Kollapsologie komplex und nuanciert. Ihre zentrale Idee – der bevorstehende Zusammenbruch der Zivilisation – hat jedoch in den letzten Jahren auf einfache und direkte Weise große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Durch die Prophezeiungen selbstbewusster und autoritärer Stimmen verankert der Kollaps-Diskurs mit seinem Weltuntergangsszenario Angst im öffentlichen Bewusstsein und bietet dann Bewältigungsstrategien an. In diesem Text möchte ich auf einige davon eingehen und deutlich machen, dass eines der (vielen) Probleme dieses Denkansatzes in seiner europatriarchalen Natur liegt.
Wie alle politischen Theorien ist auch die Kollapsologie komplex und nuanciert. Ihre zentrale Idee – der bevorstehende Zusammenbruch der Zivilisation – hat jedoch in den letzten Jahren auf einfache und direkte Weise große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Durch die Prophezeiungen selbstbewusster und autoritärer Stimmen verankert der Kollaps-Diskurs mit seinem Weltuntergangsszenario Angst im öffentlichen Bewusstsein und bietet dann Bewältigungsstrategien an. In diesem Text möchte ich auf einige davon eingehen und deutlich machen, dass eines der (vielen) Probleme dieses Denkansatzes in seiner europatriarchalen Natur liegt.
Als ich den Begriff »Europatriarchat« in meinem Buch »Sinnliches Wissen« erstmals benutzte, verwendete ich ihn, um eine bestimmte Form der westlichen Vorherrschaft zu beschreiben. Aber ich meinte damit etwas Spezifischeres als geografische, ethnische oder geschlechtsspezifische Privilegien. Europatriarchat bezeichnet ein System von Wissen und Macht, das sich seit Jahrhunderten als Wahrheit, Vernunft und Fortschritt tarnt, während es alles – Körper, Tiere, Pflanzen, Träume, Liebe – auf Materie reduziert und in eine hierarchische Struktur zwingt, die gemessen und kontrolliert werden kann.
Der Kollaps-Diskurs wird durch diese beiden Merkmale gekennzeichnet: Erstens wird das Feld, mit wenigen Ausnahmen wie etwa Alice Cappelles »Collapse Feminism«, von privilegierten westlichen Männern dominiert. Zweitens bevorzugt die Argumentation empirische Methoden und Effizienz gegenüber inneren Erfahrungen und nicht-rationalem (oder transrationalem) Wissen. Diese hierarchische Form der Wissensproduktion und hierarchische Machtstrukturen sind untrennbar miteinander verbunden.
Eine Möglichkeit, europatriarchales Wissen zu identifizieren, ist seine übermäßige Abhängigkeit von Messungen – Daten, Tabellen, Grafiken, Diagrammen, Statistiken. Natürlich hat empirisches Wissen seine Berechtigung, aber die Dominanz in unserem Verständnis dessen, was »wahres Wissen« ausmacht, geht zu Lasten anderer Formen des Wissens: emotionale Intelligenz, Intuition, Mystik, Kontemplation, Stille, poetisches Wissen, Verkörperung – und vor allem die demütig machende Tatsache, dass wir in einer Raumzeit existieren, die von Natur aus begrenzt, was wir über die Realität wissen können.
Der Kollaps-Diskurs ist weitgehend von einem desillusionierten europatriarchalen Verständnisrahmen geprägt, der einen rationalistischen und materialistischen Problemlösungsansatz verfolgt. Zu den vorgeschlagenen Lösungen gehören vorbereitende Maßnahmen hinsichtlich der bevorstehenden Apokalypse, Bunker-Retreats und konfrontativer Aktivismus. Auf diese Weise spiegelt der Diskurs unbewusst die techno-koloniale Denkweise der Wirtschaftseliten wider, die eine Flucht zum Mars planen, während sich die Lebensbedingungen auf der Erde verschlechtern, und passt gleichzeitig zu den wachsenden patriarchalen und konservativen Bewegungen wie dem »Trad-Wife Lifestyle« mit seinem Puritanismus, der asketischen Autarkie ländlicher Gemeinschaften und dem luxuriösen, ökobewussten Leben.
»Unsere Zeit erfordert mehr Neugier.«
Unsere heutige Zeit erfordert weniger Selbstdarstellung, weniger Gewissheit und mehr Neugier. Wir brauchen eine Erkenntnistheorie, die wandelbar ist – eine, die sich zwar auf die Vernunft stützt, aber wir müssen auch aus dem sinnlichen, körperlichen Wissen schöpfen, das wir in uns tragen, aus den stillen Wahrheiten, die zwischen zwei Klängen existieren, aus dem intimen Geist des Eros und aus der langsamen, geduldigen Weisheit eines Baumes.
Wir kollabieren nicht, wir »involutieren«. Wie eine Spirale, die sich selbst umschlingt und zusammenzieht, bis sie sich selbst stranguliert. Oder stellen Sie sich eine unterbrochene Metamorphose vor, wenn eine Raupe es nicht schafft, sich in einen Schmetterling zu verwandeln, wie es manchmal aufgrund von Stress, Umweltfaktoren oder Parasiten geschieht. Die Raupe pumpt Blut in ihre entstehenden Flügel, schafft es aber nicht, sich zu entfalten.
Die Kollapsologie hinterlässt die Frage: Was ist der Sinn von zukunftsorientierten Bestrebungen, von der Schaffung neuer Rahmenbedingungen und Träume, wenn sowieso alles zusammenbricht? Im Bild der Involution, das ich lediglich als Bild und nicht als Theorie anbiete, können wir diesen unbestreitbar schwierigen Zeiten dennoch mit der Entschlossenheit begegnen, sie zu verändern und uns zu befreien. Wir können und müssen Ehrfurcht, Neugier und Wachsamkeit kultivieren. Wachsamkeit bedeutet »Wache halten«: aufmerksame Fürsorge walten lassen. Und genau dazu sind wir aufgerufen.
Dieser Text ist die Bearbeitung eines Textes, der auf der Substack-Plattform von Minna Salami erschienen ist: Kaleido: The Europatriarchy Files.
www.minnasalami.substack.com