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Wie werden wir Helden? Dieser Fragegeht die Entwicklungsdramaturgin Nina Trobisch in ihrer Arbeit nach. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sie Menschen auf ihrer Heldenreise begleitetund dabei auch die Bedeutung des »Heldenhaften« transformiert.
evolve: Sie arbeiten mit Einzelpersonen und Firmen nach dem sogenannten Heldenprinzip, das sich an demEntwicklungsmodell »Heldenreise« des Mythenforschers Joseph Campbellorientiert. Wie sieht diese Arbeit aus?
Nina Trobisch: Wir begleitenVeränderungsprozesse anhand der modifizierten Struktur der Heldenreise. Die Heldenreise ist ein Menschheitsmythos. Darin ist das kollektive Wissen über dasPrototypische eines Veränderungsweges verdichtet. So, wie wir es tagtäglich imrealen Leben erfahren und es uns die Künste widerspiegeln. Um dieses Wissen fürheute zugänglich zu machen, haben wir uns in einem Forschungsprojekt mitCampbells Heldenreise und anderen Veränderungsmodellen auseinandergesetzt. Ergebnis ist das Heldenprinzip: eine Veränderungsdramaturgie im Spannungsbogenvon Aufbruch, Abenteuer und Rückkehr, mit ihren charakteristischen elf Schritten.
e: Der Heldenbegriff ist für uns Deutsche immer noch nicht ganz so einfach …
NT: Ja, das Heroische und Mythische istin der deutschen Vergangenheit missbraucht worden. Der »Held« wird leidervorrangig mit Mann, Kampf und Sieg assoziiert. Wir Frauen haben deshalb oftbesondere Schwierigkeiten mit dem Heldenbegriff. Das ging mir auch so, bis ichverstand, dass es mit dem Namen »Held« um Personen geht, die einenEntwicklungs- und Veränderungsprozess bewältigen müssen oder wollen. Und daspassiert Männern wie Frauen, Alten wie Jungen, Reichen wie Armen. Wir sagen:»Helden und Heldinnen sind die Akteure, die sich aus der bekannten Welt in dieunbekannte Welt wagen und dort zum Meister der Veränderung reifen.« Gemeintsind also nicht jene, die gewinnen und sich allein »durchschlagen«, sonderndiejenigen, die sich aufmachen und den Weg wagen.
e: Können Sie die Arbeit mit dem Heldenprinzip konkreter beschreiben?
NT: Nehmen wir den Ruf, den ersten Schritt einer jeden Heldenreise. In einem Unternehmen oder bei einerEinzelperson gibt es eine dringende Situation, weswegen ein Veränderungsprozessansteht. Für einen Kunden war beispielsweise der Verkaufsraum zu eng geworden.In der gemeinsamen Arbeit wurde deutlich, das unter diesem Ruf nach Erweiterungdes physischen Raumes ein tieferer steckte: »Wir wollen nicht als Konkurrentenagieren, sondern in einem größeren Netzwerk neue Formen der Zusammenarbeitfinden.« Mit diesem Ruf kann der Heldenweg beginnen, der Fokus ist erweitert.Denn der Ruf hat zwar immer einen realen Anlass, aber auch Dimensionen einermit ihm reifenden Identität. Das mythologische Wissen hilft, auch auf Ebenen zuschauen, die tiefer liegen als die, auf der wir uns in unserer vornehmlich amLeistungs- und Ergebnisprinzip orientierten Arbeitswelt bewegen. Diese herauszuschälen, gibt Sinn und Orientierung im Veränderungsprozess und eröffnetneue Denk- und Handlungsräume.
Helden und Heldinnensind Meister der Veränderung.
Eine andere typische Station der Reise ist das Elixier, wo Helden und Heldinnen einewie auch immer geartete Belohnung erhalten, einen Kraftquell nach all den Bewährungen und Hindernissen im »Abenteuerland«. Diese Würdigung wird dringendgebraucht, um mentale und physische Kräfte für den schwierigen Rückweg zumobilisieren – denn hier ist die Reise eben noch lange nicht zu Ende! DieWertigkeit dieses Schrittes wird in Organisationen oft ignoriert. Erhält diesePhase aber nicht den nötigen Stellenwert, bricht die Energie für dieImplementierung der Veränderung auseinander. Ganze Veränderungsprozesse könnenmisslingen, weil Unwissenheit, manchmal auch Ignoranz, über Notwendigkeit,Dynamik und Wirkung der Schrittfolge vorherrschen.
e: Sie sagten, dass Sie nebeneiner rational-kognitiven Vorgehensweise auch intuitiv und schöpferischarbeiten.
NT: Ja, das sehe ich als Teil meinespersönlichen Rufes: Ich erlebe vielfach eine Arbeitswelt, in der dasSchöpferisch-Kreative ausgegrenzt ist. Das heißt aber auch, dass keineganzheitliche Entwicklung stattfinden kann. Erst im Zusammenspiel zwischenKognition und Kreation, zwischen Logos und Mythos entsteht Erneuerung. Mir istes ein Anliegen, dass Menschen ihr schöpferisches Potenzial wiederentdecken,und lernen, es freudig freizusetzen. Denn nur mit dem Mut zu neuen Ideen undunbekannten Lösungen ist ein Veränderungsprozess wirklich erfolgreich.
Diekünstlerische Arbeitsweise, wie wir sie verstehen, ermöglicht es, imerkundenden Modus an Dinge heranzugehen, sozusagen zieloffen explorativ underprobend, ohne sofortige Bewertung mit Richtig und Falsch. Dann geschieht oftetwas Unerwartetes. Plötzlich ist etwas da, ohne das wir mit Absicht danachgesucht hätten. Es treten völlig neue Möglichkeiten des Be-greifens zutage, esentsteht ein schöpferisches Klima unter den Menschen. Beglückend ist natürlich,wenn dieses Klima im Arbeitsalltag der Einzelnen oder der jeweiligen Organisation bestehen bleibt. Wir geben den Veränderungsprozess mehr und mehrin die Hände der Protagonisten. Mit ein wenig Glück kann sich das schöpferische Klima stabilisieren. Hierfür ist auch Vertrauen wichtig, und dass das kreativePotenzial der Einzelnen nachhaltig freigesetzt wird.
e: Wie sind Sie zu dieserArbeit mit der Heldenreise gekommen? Wie ist es zu einem persönlichen Ruf fürSie geworden?
NT: Ich bin in meinem Erstberuf Dramaturgin. Am Theater faszinierte mich, wie man sich einem neuenInszenierungsprojekt näherte. Das Stück bekam mit unserer konzeptionellen Absicht und aus der Kreativität des Teams seine eigene Aussage. 2006 besuchteich das Seminar »Heldenreise« des Theatermachers und Gestalttherapeuten Paul Rebillot. Das war meine Initiation, mich mit Campbells Mythos des Helden zubeschäftigen. Jetzt war mir klar: Das ist der Anfang von etwas Neuem, dasgeschehen soll. Vorher schien mir meine Arbeit aus lauter bunten Flecken zubestehen, die ich nicht zusammenbekam. Jetzt begannen diese bunten Flecken zueinem Aquarell zu verschmelzen. Vorher dachte ich ja immer, Dramaturgie gibt esnur im Theater! Es war ein Glücksmoment, als ich mit der Heldenreise denSpannungsbogen von Veränderungsprozessen der Realität in die Hand bekam – worin sich all mein Können zusammenfügt und ich anderen etwas weitergeben kann. Fürmich war es ein roter Faden, mit dem ich auch einen roten Faden für andere fand.
e: Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeitswelt?
NT: Ich wünsche mir eine Arbeitswelt,wo wir schöpferisch und kreativ unterwegs sein können, wo wir gemeinsamkooperativ und nicht in Konkurrenz miteinander umgehen und wo wir aus einergemeinsamen Verantwortung agieren. Ich hoffe, dass ich in homöopathischer Dosismit meiner Arbeit etwas dazugeben kann. Joseph Campbell sagte, der nächsteMythos sei kein nationaler, sondern ein globaler. Für mich heißt das, dass dieMenschheit inzwischen einen gemeinsamen Ruf hat. Es gibt eine massive Weigerungdagegen, aber der Ruf ist klar.
e:Was istder Ruf an die Menschheit?
NT: Die Bewahrung und Mitgestaltung der Schöpfung.
Das Gespräch führte Elke Janssen.
Author:
Elke Janssen
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