Kunst kann unsere Welt verändern, davon war Joseph Beuys zutiefst überzeugt. Aber wie ist das möglich? Welche Beziehung können wir zur Wirkkraft der Kunst einnehmen, um eine lebensfähige Zukunft zu gestalten? Wir stellen fünf Menschen, die ganz praktisch mit Kunst und sozialer Plastik arbeiten, die Frage:
Was sagt uns die Kunst?
Beim Betrachten von Beuys‘scher Kunst erkennen manche Leute keine Schönheit; jedoch gibt es darin Schönheit. Sogar in der erscheinenden Hässlichkeit ist Schönheit eine Erfahrung der Seele/des Geistes, die durch physisches Material hindurchscheinen kann. Beuys erreichte dies durch seine eigene, innere Aktivität, die allerdings die Mitwirkung des Beobachters verlangt.
Unsere Erfahrung von Schönheit (Kunst) hängt von unserer inneren Aufmerksamkeit ab, nicht von der Kraft des Intellekts. Viel hängt dabei von unserer Fähigkeit ab, das Objekt oder die Substanzen in einer Weise kontemplativ zu erfassen, dass wir die Schwelle der physischen Welt zu den spirituellen (unsichtbaren, numinosen) Welten berühren. Wir überqueren den Abgrund, um die Idee dahinter zu finden, die unsere Wahrnehmung auf eine neue Ebene hebt.
An dieser Schwelle nimmt das Verstehen »Feld-Charakter« an – ein Begriff, mit dem Beuys bewusst arbeitete. Er rief jeden von uns auf, neue Wahrnehmungsorgane der Intuition, Inspiration und Imagination zu entwickeln, um fähig zu sein, diese neuen Ebenen wahrzunehmen, damit Schönheit als lebendiger Beweis des Spirituellen durchscheinen kann; als direkte Erfahrung der geistigen Welt, die das Spirituelle in uns nährt.
Künstlerisches Wissen stärkt das Bewusstsein des Beobachters für die spirituelle Welt und verändert so die sichtbare Welt. Kunst fordert uns heraus, diese spirituelle Wirklichkeit mit neuem Bewusstsein zu durchdringen, um das Banale hinter uns zu lassen.
Ian George ist Unternehmer und Leiter des Beuys Cafés Melbourne.
Die Natur gibt mir die Kraft für meine Kunst. Mein künstlerisches Tun ist verbunden mit dem analogen Wahrnehmen des Wachstums der Vegetation als Impuls einer permanenten Metamorphose. Für Alberts Magnus ist die Wurzel der Mund der Pflanze, für Beuys ist der Kosmos eine raumgreifende Skulptur, die nur mit der Intuition und dem damit verbundenen Hören, Sinnen und Wollen erfasst werden kann. So ist die Kunst mit der Erneuerung und Transformation des sozialen Ganzen verbunden.
Für mich ist der mit der Natur verbundene Raum nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Das allgegenwärtige Raumempfinden ist für mich Social Landart: ein wirklicher Transformationsraum mit dem Charakter eines kollegialen und kollektiven künstlerischen offenen Tuns.
Mich treibt die Herausforderung, eine humane, ökologische und zukunftsfähige Landschaft mitzugestalten, sowie die Wiedergewinnung der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs der »Agri-kultur« und deren Verlebendigung. Die symbolträchtige Wurzel reichert sich hierbei mit den essenziellen Themen der nachhaltigen Entwicklung an.
Dr. Insa Winkler arbeitet seit vielen Jahren als Bildende (Umwelt-) Künstlerin und seit einigen Jahren auch als Freiraumplanerin.
Soziale Kunst sagt uns oder bestätigt uns, dass wir nicht allein sind. Wir existieren in ständiger, unlösbarer Beziehung inmitten eines unendlichen Spektrums von Verbindungen zu anderen Wesen und Arten. Leben – als Energieform – durchzieht dieses Netz. Und soziale Kunst spiegelt diese Wirklichkeit, um uns zu helfen, unseren Platz in der größeren Ordnung zu erkennen.
Kunst (jede Kunstform) deckt das Leiden und die Traurigkeit inmitten dieser Beziehungen auf. Sie enthüllt Frustration und Angst. Und sie bringt Freude, Hoffnung und Potenzial zum Ausdruck. Kunst ist eine äußerliche Erscheinungsform inneren Verstehens. An Tagen, an denen die Welt sich zu herausfordernd anfühlt, sitze ich in Stille und zeichne kleine Werke, die durch abstrakte Markierungen Farben und Linien in Szene setzen. Das ist ein privater Akt, ein intimer Ausdruck, der hilft, zu verstehen und Sinn zu finden.
Aber soziale Kunst wie »Generative Scribing« – die Echtzeit-Visualisierung von Gruppenprozessen in Form von Zeichnungen mit dem Ziel, deren Potenzial sichtbar zu machen – ist ein exponierter und bezeugender künstlerischer Akt. Soziale Kunst existiert nicht außerhalb des sozialen Feldes, in dem sie geschaffen wird. Der Unterschied besteht also darin, dass Kunst die Seele eines oder einiger Menschen besänftigt, während soziale Kunst die Seele aller beruhigen kann. Geschöpft aus dem Ganzen spricht sie die Ganzheit an. So ist sie im Grunde eine heilende Geste.
Kelvy Byrd ist international mit dem Generative Scribing tätig und Mitbegründerin des Presencing Institute.
Eine Übung der Imagination: Stellen wir uns vor, das Wesen von uns Menschen sei so vielschichtig wie der Aufbau unseres Planeten Erde: Tief im Inneren, dem Magmakern gleich, findet sich eine flüssige, unermessliche Vielfalt an Potenzialen und Möglichkeiten. Erst weit darüber findet sich eine dünne Schicht erstarrter Handlungsgewohnheiten, deren Strukturen wie die der Kontinentalplatten allein durch das Vergangene geprägt sind. Solange wir unsere Existenz allein auf deren vermeintlich festen Boden gründen, können wir unsere Kreativität und Freiheit nur negativ wie erdbebenartige Erschütterungen wahrnehmen. Die Kunst hingegen weckt nun gleichsam gewaltige tektonische Kräfte in uns: Im künstlerischen Schaffen können wir bis zum »gesellschaftlichen Magma« (Cornelius Castoriadis) vordringen und daraus neue Formen, Strukturen und Inhalte entstehen lassen. Wir können Welt und uns inmitten der Herausforderungen der Gegenwart neu erschaffen. Kunst ist damit gerade kein ökonomisches Gut. Sie ist Teil unserer menschlichen Freiheit, mit der wir bewusst jene kreativen Schichten unseres menschlichen Wesens nähren können, in denen erstarrte Gewohnheiten einsinken und aufschmelzen können. Zugleich gibt sie uns die Kraft, Wahrnehmungsmuster aus der Tiefe menschlicher Freiheit neu hervorgehen zu lassen.
Prof. Silja Graupe ist Professorin für Ökonomie und Philosophie an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung.
Wenn wir es zulassen, dann kann uns Kunst durch eine gelebte, geteilte Erfahrung einen Weg zeigen, uns miteinander in einer menschlichen Weise zu verbinden. In der Ästhetik Indiens wird Kunst als Weg verstanden, uns auf unserer Reise zur Freiheit zu bereichern. Auf diese Weise strömt die Empfindsamkeit, die diese Kunst bewirkt, in andere Bereiche des Lebens, sie macht uns zu achtsamen, sensiblen und resonanten Wesen. In meiner eigenen Praxis als Odissi-Tänzerin hilft mir Kunst immer, mir selbst näherzukommen und gleichzeitig eine emphatische Beziehung zu meinem Publikum aufzubauen. Dann ist Kunst durch die andauernde Erkundung neuer Möglichkeiten das Feld, in dem sich das Publikum (oder besser die Teil-Nehmenden) und der Künstler begegnen und sich langsam vortasten von einer physischen zu einer emotionalen zu einer intellektuellen und schließlich zu einer spirituellen Ebene.
Janhavi Dhamankar ist Philosophin and Darstellerin des klassischen indischen Tanzes.