Eine der kraftvollsten und anspruchsvollsten Möglichkeiten, das Bewusstsein der Trennung zu überwinden, ist die Kooperation mit Widrigkeiten. Was geschieht, wenn wir einer Herausforderung tief zuhören, statt gegen sie anzukämpfen? Was verändert sich, wenn wir sie nicht mehr automatisch als Feind, sondern sogar als potenziellen Freund betrachten?
Die gegenwärtige Zeit ist für uns als Menschheit und für viele ganz persönlich von großen Herausforderungen geprägt. Im letzten Jahr wurden wir herauskatapultiert aus unserer Illusion von Sicherheit, in der wir es uns in den letzten Jahrzehnten gemütlich gemacht hatten.
Was jetzt durch eine Krise geht, ist nicht nur unser Selbstverständnis der Unverwundbarkeit, es ist unser Umgang mit Widrigkeiten. Aktuell bemühen wir uns als Gesellschaft noch, die Lage mit den erprobten Strategien des Kampfes unter Kontrolle zu bekommen: Wir kämpfen gegen Corona, gegen den Klimawandel, gegen die Maßnahmen, gegen den Tod, gegen die Querdenker, gegen die Rezession, gegen was auch immer. Wir kämpfen nicht nur um Kontrolle und Dominanz des Lebens, wir kämpfen um unser Selbstverständnis als Herren der Schöpfung. Dabei kämpfen wir gegen etwas an, das in Wirklichkeit unser Freund sein könnte.
Wenn wir aufhören, das aktuelle Geschehen aus einer ego- oder anthropozentrischen Perspektive zu betrachten, dann wird offensichtlich, dass es sich um einen Versuch des Organismus Erde handelt, ein verloren gegangenes Gleichgewicht wiederherzustellen. Da wir selbst ein Teil dieses Organismus sind, ist es aus diesem Blickwinkel in unserem höchsten Interesse, diese empfindlich gestörte Balance wieder zuzulassen. Auch der Klimawandel ist nichts anderes als ein Signal, dass unsere Lebensweise nicht zukunftsfähig ist. Beide – Klimawandel und Corona – sind Symptome ein und desselben tiefer liegenden Problems: die Zerstörung der Ökosysteme. Diese Zerstörung hat ihren Ursprung in genau jenem Bewusstsein der Trennung, das unablässig bemüht ist, den Tag ohne die Nacht, das Leben ohne den Tod, den Lohn ohne die Arbeit zu bekommen.
Wenn wir uns weiterhin nur darauf konzentrieren, diese Symptome zu bekämpfen – Corona mit der Impfung, den Klimawandel durch CO2-Einsparungen und grüne Technologien – werden stärkere Signale folgen. Die Einladungen werden lauter und deutlicher werden. Nicht weil das Leben es auf uns abgesehen hat und im Kampf gegen den Schädling Mensch immer härtere Geschütze auffährt. Diese Interpretation entspringt genau jenem Paradigma der Trennung, das es zu überwinden gilt. Aus der Perspektive der Einheit ist es genau umgekehrt: Es ist die Liebe des Lebens zu sich selbst, die sich hier äußert. Und da wir selbst ein Ausdruck des Lebens sind, ist es auch die Liebe des Lebens zu uns.
IM LETZTEN JAHR WURDEN WIR HERAUSKATAPULTIERT AUS UNSERER ILLUSION VON SICHERHEIT.
So schnell diese Idee intellektuell verstanden ist, so herausfordernd ist es, sie zu einer gelebten Erfahrung werden zu lassen. Schlüssel hierzu ist, dass wir aufhören zu kämpfen und stattdessen innehalten, um still zu werden. Statt schnellen, einfachen Antworten aufzusitzen, gilt es, tief in uns hineinzulauschen, mit unserem inneren Navi Kontakt aufzunehmen und wach zu werden für die tiefere Einladung, die in der aktuellen Situation steckt – immer wieder neu.
Oft geraten wir dann in eine Identitätskrise. Unser narzisstisches Selbstbild wankt, die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. So unangenehm das ist: Aus spiritueller Sicht ist genau das ein Teil des Geschenks, das in Widrigkeiten steckt. In ihren heftigsten Ausprägungen zerreiben sie uns, machen uns das ganze Ausmaß unserer Bedeutungslosigkeit und unseres Ausgeliefertseins bewusst.
Wenn wir wissen, dass nur die Illusionen unserer eigenen Großartigkeit zerrieben werden, können wir uns dieser Erfahrung hingeben. Wir können uns tief hinabsinken lassen in den stillen Urgrund der Turbulenzen und dort eine tiefere Wahrheit erkennen. Wie diese im Einzelnen aussieht, können wir erst wissen, wenn wir diesen kleinen Tod gestorben sind, denn sie ist in jeder Herausforderung neu zu entdecken. Doch wir erkennen diese Wahrheit daran, dass mit ihr Frieden einkehrt – in uns und in unserem Umgang mit Widrigkeiten.