Bauhütte Witten: Ein Projekt für den Wiederaufbau einer niedergebrannten Flüchtlingsunterkunft
Als in Brüssel am 22. März zwei Anschläge verübt wurden – einer im Flughafen, einer in einer U-Bahnstation – gab es die üblichen Aufnahmen der Zerstörung und des Grauens nach einem Selbstmordattentat. In den sozialen Medien teilten jedoch meine Verwandten und Freund/innen, die dort leben, ganz andere Bilder. Vor der ehemaligen Börse im Stadtzentrum trafen sich am Nachmittag junge und alte Menschen jeglicher Couleur und Herkunft. Sie zeichneten mit Kreide Herzen und Blumen auf den Asphalt, schrieben in vielen Sprachen den Wunsch nach Frieden, Zusammenhalt und Liebe nieder. Momente der Stille, der tiefen Begegnung und der Besinnung auf Wesentliches waren auf vielen der Foto- und Filmaufnahmen spürbar. In dem Satz »we are one« fand die Vision der Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit ihren Ausdruck.
Die besonnene Ausrichtung und die Tatkraft, die aus dem Spannungsfeld zwischen Vision und Wirklichkeit entstehen können, erlebe ich im Moment auch am Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten, wo ich unterrichte. In der Nacht zum 25. Januar wurden dort die Holzpavillons, in die Flüchtlingsfamilien aus Syrien und dem Irak eine Woche später hätten einziehen sollen, angezündet. Die Betroffenheit war groß. Es kam eine Welle der Anteilnahme und spontaner Hilfsbereitschaft in Gang. Helmut Kunstmann vom Help-Kiosk Witten schlug dem Kollegium vor, »zusammen mit der ganzen Stadt« ein neues Gebäude zu errichten. In kurzer Zeit entstand tatsächlich ein breites Bündnis. Eine technisch einfache Bauweise soll viel Eigenleistung ermöglichen. Flüchtlinge bzw. Neu-Wittener/innen, Studierende des Lehrerausbildungsinstituts und der Uni Witten-Herdecke, Schulklassen, örtliche Handwerker/innen und Architekten, Arbeitslose, Nachbarn und Nachbarinnen sowie andere engagierte Mitbürger/innen möchten sich aktiv einbringen.
Zusammenarbeit, Integration und gemeinsames Lernen sind die großen Leitmotive. Eine Initiativgruppe bringt die Planung Schritt für Schritt voran. Den engen Kreis der sogenannten »Bauhütte Witten« bilden Helmut Kunstmann vom Help-Kiosk, Studierende und Dozenten des Instituts sowie Ramona Fricke, die im Rahmen der Flüchtlingsinitiative der Uni bereits hilfreiche Erfahrungen mit einem konstruktiven Miteinander gesammelt hat. Drei Wittener Architekten arbeiten bis zur Genehmigung des Bauantrags ehrenamtlich am Entwurf eines Gebäudes, in dem in kleinen Wohneinheiten 25 Flüchtlinge sowie etwa sieben bis zehn Studierende eine schlichte aber schöne Bleibe erhalten sollen. Einige weitere Zimmer werden Gästen zur Verfügung stehen. Der Betrieb dieses »Hotelbereichs« könnte eine gemeinsame Aufgabe für alle werden, die dort wohnen. Aufgrund der aktuellen Herausforderungen wird es im kommenden Studienjahr für die künftigen Waldorflehrer/innen, sowie für Kollegen und Kolleginnen aus der Um-gebung Studien- und Fortbildungsangebote in den Bereichen Deutsch als Zielsprache, Traumapädagogik und interkulturelle Kompetenz geben. Die Folgen der Globalisierung sowie Ansätze einer universellen Spiritualität und säkularen Ethik werden ebenfalls thematisiert. Je nach Initiativkraft und Interesse derjenigen, die mit dieser integrativen Bau- und Wohnsituation in Berührung kommen, können weitere Lernsituationen, Begegnungen und Projekte entstehen. In einem öffentlichen Forum wird monatlich über den Fortgang des Projektes informiert. Die Integration der Menschen aus verschiedenen Nationen und unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen soll auch bei weiteren Aktionen in der Stadt thematisiert und gefördert werden.
-ZUSAMMENARBEIT, INTEGRATION UND GEMEINSAMES LERNEN SIND DIE GROSSEN LEITMOTIVE.-
Es besteht die Hoffnung, dass die intensive Bauphase im Herbst anfangen kann. Damit es gut weiter gehen kann, gilt es, die nötige finanzielle Unterstützung zu sichern. Dazu wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Die Spenden gehen an den gemeinnützigen Verein »Help-Kiosk« und sind steuerlich absetzbar.
Author:
Griet Hellinckx
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